Selbsthilfefreundlichkeit auf nationaler Ebene. 

Vom Nebeneinander zum partnerschaftlichen Miteinander. 

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Selbsthilfefreundlichkeit“ findet in Österreich vorwiegend im Bereich Selbsthilfe und Krankenhaus durch die Auszeichnung „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ statt. Die aktuellen Entwicklungen zeigen allerdings, dass sich immer mehr Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich für das Thema interessieren. 

Die verbindliche und strukturierte Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und Krankenhäusern hat in Österreich noch keine lange Tradition. Bestehende Kooperationen zwischen Krankenhaus und Selbsthilfegruppen waren eher durch ein „nebeneinander“, als durch ein „miteinander“ gekennzeichnet. Mit der Auszeichnung „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ wird unter anderem ein Beitrag dazu geleistet, dass Selbsthilfegruppen nicht nur passiv akzeptiert, sondern als integrativer Bestandteil professionelles Handelns im Krankenhaus gesehen werden. 

Kooperationen gestalten sich oft schwierig, weil sowohl vom Krankenhaus als auch von Selbsthilfegruppen unterschiedliche Erwartungen bestehen, die mit unterschiedlichen „Kulturen“, wie auch ungleich vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zusammenhängen. Dem Wunsch von Selbsthilfegruppen nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit wird oft mit Vorbehalten begegnet, denn die Betroffenen-Kompetenz häufig als Konkurrenz und Einmischung in traditionelle Kompetenzfelder aufgefasst wird. Auf der anderen Seite fühlen sich Selbsthilfegruppen in ihren Leistungen oft nicht anerkannt oder aber in ihrem ehrenamtlichen Engagement ausgenutzt. Hier sind vor allem die themenübergreifenden Selbsthilfe-Dachverbände und –Kontaktstellen als Brückeninstanz gefragt, um die Kommunikation beider Seiten zu fördern, eine gewinnbringende Zusammenarbeit vorzubereiten und dauerhaft zu unterstützen.

Handlungsgrundlage für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ sind die Erfahrungen aus Deutschland, wo in einem zweijährigen (Nov. 2004 – Dez. 2006), wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt nach einer bundesweiten Bestandsaufnahme zu Modellen der Kooperation die Kriterien für die Auszeichnung zu einem selbsthilfefreundlichen Krankenhaus von VertreterInnen der kooperierenden Krankenhäuser, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfe-Unterstützungseinrichtungen erarbeitet wurden. Österreich hat diese Kriterien als Handlungsgrundlage verwendet und den regionalen Gegebenheiten angepasst. 

Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen als Partner im Gesundheitswesen wird in Österreich von immer mehr Krankenhäusern erkannt und als komplementäre Unterstützung im Behandlungsprozess gesehen. Derzeit werden in den Bundesländern Kärnten, Oberösterreich, Salzburg und Tirol Krankenhäuser als „selbsthilfefreundlich“ ausgezeichnet und die Bundesländer Burgenland und Vorarlberg sind dabei, Kooperationen aufzubauen. Obwohl die Vorgehensweise nicht in allen Bundesländern gleich ist, gibt es doch ein übergeordnetes Ziel: die bestehenden Formen der Kooperation zwischen Selbsthilfe und professioneller stationärer Versorgung gezielt und auf verbindliche Weise, unter Berücksichtigung der spezifischen Kultur des Krankenhauses und lokaler Besonderheiten, zu fördern und zu festigen. 

Chancen und Nutzen der Kooperation …

für das Krankenhaus: 

Im Krankenhaus wird die Handlungskompetenz der verschiedenen Berufsgruppen durch das Erfahrungswissen der Betroffenen erweitert (Beitrag zur bedarfsorientierten Versorgung). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Selbsthilfegruppen als Ergänzung der professionellen Arbeit gesehen werden.

Imageverbesserung, da damit ein deutliches Signal in Richtung Patienten-Orientierung gesetzt wird. 

für die Selbsthilfe: 

Die Akzeptanz der Selbsthilfe wird erhöht und gefestigt.

Die Arbeitsweise der Selbsthilfegruppe, die auf der Erfahrungskompetenz der einzelnen VertreterInnen basiert, kann dargestellt werden.

Der regelmäßige Informationsaustausch mit unterschiedlichen Berufsgruppen trägt maßgeblich zur Qualitätsentwicklung der Selbsthilfearbeit bei. 

für PatientInnen: 

Selbsthilfegruppen erleichtern PatientInnen den Übergang vom stationären in den ambulanten Bereich, weil sie Ansprech-PartnerInnen im extramuralen Bereich nennen können und Unterstützung bei der alltäglichen Lebensbewältigung bieten. 

PatientInnen können die nachfolgend angeführten „Kernleistungen“ von Selbsthilfegruppen nutzen (Quelle: Wirkung von Selbsthilfegruppen auf Persönlichkeit und Lebensqualität – Janig, 2005) und so das Leben mit einer chronischen Krankheit leichter bewältigen: 

  • Auffangen – das Gefühl geben, nicht alleine zu sein
  • Ermutigen, mit der neuen Situation umzugehen
  • Informieren – durch Vorträge von Fachleuten, Literaturhinweise …
  • Orientieren – im Austausch mit anderen die eigene Situation relativieren lernen
  • Unterhalten – gesellschaftliche und freundschaftliche Bindungen

Betroffene und Angehörige erhalten Informationen, Hilfestellungen und Unterstützung in ihrer aktuellen schwierigen Lebenssituation. Selbsthilfegruppen sind aber kein Ersatz für eine professionelle Versorgung, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt auf der alltäglichen Lebensbewältigung.

Durch den Selbsthilfe-Ansatz wird die aktive Auseinandersetzung der PatientInnen mit ihrer schwierigen Lebenssituation gefördert, was ihnen u. a. auch ermöglicht, ihre Bedürfnisse und Anliegen besser zu artikulieren.

Die PatientInnen erleben eine patientenfreundliche Versorgung und können bereits vor, während und natürlich auch nach (z. B. durch Integration der Selbsthilfe in das Entlassungsmanagement) der stationären Behandlung Informationen und Unterstützung durch die Selbsthilfegruppen erhalten. Die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema „Selbsthilfefreundlichkeit“ bietet eine gute Ansatzmöglichkeit die Qualität im Bereich der Patienten-Orientierung zu verbessern. Die Qualitätsentwicklung ist aber nicht mit der Auszeichnung beendet, sondern erfordert laufende Abstimmungsprozesse zwischen dem Krankenhaus und Selbsthilfegruppen. Die Aktivitäten in den Bundesländern zeigen, dass sich das Thema Selbsthilfefreundlichkeit entwickelt und die Leuchtturm-Projekte auch andere Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich motivieren, sich um die Auszeichnung „Selbsthilfefreundlichkeit“ zu bewerben.